Wie digital ist die Stadtverwaltung Heidelberg?
In Presseveröffentlichungen sprechen der Oberbürgermeister und der Fraktionsvorsitzende der CDU von „über 100 Produkten, die die Verwaltung digital anbietet“. Ebenso wurde davon gesprochen, dass der Personalausweis online beantragt werden könne. Bei einem Blick auf die Webseite der Stadt Heidelberg https://www.heidelberg.de/34648.html finde ich lediglich 47 Online-Formulare, die man teilweise ausdrucken und per Post schicken muss, darunter sind auch einfache Kontaktformulare oder einfache Verzeichnisse als „digitale Möglichkeiten“ gelistet. Meine Fragen sind deshalb wie folgt.
- Welche Produkte für Bürgerinnen und Bürger in Heidelberg sind bislang komplett digitalisiert von Bestellung bis Nutzung?
- Im Verhältnis dazu: wie viele „Produkte“ der Verwaltung gibt es insgesamt (also auch diejenigen, die noch nicht digitalisiert sind)?
- Können Bürgerinnen und Bürger einen Personalausweis online beantragen oder nur online den Bearbeitungsstand abfragen?
- Wenn erfasst: Wie viele Personen haben die verschiedenen Online-Services 2021 genutzt? Wie viele sind das im Verhältnis zur Gesamtnutzungszahl?
- Wurden aufgrund der Digitalisierung von Prozessen bereits Personalbereiche verändert und umstrukturiert?
Die Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland ist eines der größten Modernisierungsprojekte der letzten Jahre. Mit dem Onlinezugangsgesetz (OZG) wurde durch den Bund mit Fokus auf die Bürgerschaft ein starker Impuls gesetzt. Das OZG sieht die Digitalisierung der Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 vor. Heidelberg steht gemeinsam mit dem Bund, den Ländern und den anderen Kommunen vor der Herausforderung, den dort definierten Katalog von 575 Leistungsbündel mit über 6.000 Einzelleistungen digital zu erschließen. Diese große Anzahl und der Tatsache, dass die weit überwiegende Mehrzahl der Leistungen durch Bundes-oder Landesrecht geregelt ist, wird durch eine koordinierte Arbeitsteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen Rechnung getragen. Zentrale
Plattform für die Umsetzung der OZG-Leistungen in Baden-Württemberg ist service-bw, das sukzessive von einer Informations-zu einer Prozessplattform ausgebaut wurde.
Bis Mitte 2020 mussten die Kommunen davon ausgehen, dass die Leistungen als sogenannte Standard-Leistungen durch Bund und Länder im sogenannten „Einer-für Alle“-Prinzip (EfA-Prinzip) entwickelt und bereitgestellt werden. Unter dem Eindruck der Pandemie wurde auf service-bw der sogenannte Universal-Prozess (UNIP) bereitgestellt. Der UNIP ist quasi ein angereicherter Formulareditor mit dem nach entsprechender Parametrisierung eine Vielzahl von Antragsprozessen abgebildet werden können. Anzumerken ist, dass zur Erfüllung der Anforderungen des OZG lediglich die Antragstellung digitalisiert werden muss.
Beflügelt durch den hohen Umsetzungsdruck und die Möglichkeiten des UNIP wurde in Baden-Württemberg deshalb beschlossen die Umsetzung des OZG sowohl über die Standard-Prozesse, die in aller Regel über eine Anbindung an die in der Verwaltung zur Aufgabenerledigung eingesetzten Fachverfahren verfügen, als auch über den UNIP, der Stand heute über keine Fachverfahrensanbindung verfügt, weiter zu verfolgen (sogenannter Doppelbeschluss). Erst mit dem UNIP steht die Kommunen auf Basis service-bw ein Werkzeug zur Modellierung eigener Antragsprozesse zur Verfügung, wobei mit dem Doppelbeschluss auch ein Teil der Umsetzungslast auf die Kommunen verlagert worden ist. Um dem Rechnung zu tragen, wurden dem Amt für Digitales und Informationsverarbeitung für 2022 drei Stellen genehmigt. Es ist gelungen, diese Stellen im Laufe des ersten Quartal 2022 zu besetzen.
Bereits vorab wurden im Rahmen der bisherigen Möglichkeiten 32 Prozesse (davon 6 Standardprozesse) über service-bw aktiviert.
Daneben gibt es eine Anzahl von digitalen Prozessen, die außerhalb von service-bw angeboten werden. Anzuführen sind hier zum Beispielder digitale Bauantrag, die Musikschul-APP, der Online-Antrag Plakatierung von Veranstaltungen, die Online Terminreservierung (Reservierung eines Trautermins beim Standesamt oder eines Termins beim Bürgeramt), die An-und Abmeldung von Kraftfahrzeugen, die Wunschkennzeichenreservierung, der Bewohnerparkausweis, die Anhörung Ordnungswidrigkeiten oder auch die Anmeldung von Sperrmüll. Zusätzlich werden über unseren Formularserver, neben dem Download von pdf-Formularen, circa 100 intelligente webbasierte Antragsassistenten eingesetzt, welche die Anforderungen des OZG erfüllen (zum Beispiel Ideen-und Beschwerdemeldungen, Abfallbehälterbestellung, Sportförderanträge, Antrag auf Einrichtung einer privaten Ladestation, Einladung zu städtischen Veranstaltungen).
Die Frage nach der Anzahl der Produkte der Stadt Heidelberg, die bereits komplett –also Ende-zu Ende – digitalisiert sind, ist schwer zu beantworten, da
∙ bei vielen Produkten das Ergebnis nicht digital übermittelt werden kann/darf
∙ die Definition der „Lieferung“ differiert (zum Beispiel ist mit der Reservierung des Trautermins die Leistung erbracht oder erst mit der Eheschließung?)
Bei der Vielzahl der anzubietenden Leistungen ist vorgesehen, die wichtigsten beziehungsweise am häufigsten nachgefragten am schnellsten digital anzubieten. Es werden deshalb derzeit die für eine Priorisierung noch fehlenden Informationen bei den Fachämtern abgefragt.
Flankierend zu den Maßnahmen zur Umsetzung des OZG arbeiten wir an der Realisierung des virtuellen Bürgeramtes. Hier wollen wir Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben im rechtlich zulässigen Rahmen möglichst viele Leistungen des Bürgeramtes von Zuhause aus beziehen zu können, auch wenn es hierzu noch keinen digitalen Antragsprozess gibt.
Zur konkreten Frage 3, ob Bürgerinnen und Bürger einen Personalausweis online beantragen können, müssen wir leider sagen, dass dies derzeit aus rechtlichen Gründen (noch) nicht geht. Lediglich der Bearbeitungsstand lässt sich online abrufen.
Eine (zentrale) Erfassung der Nutzung der Onlinedienste gibt es derzeit auf Grund der unterschiedlichen Bereitstellungswege leider nicht. So stehen uns zum Beispiel die Nutzungszahlen der über service-bw erschlossenen Prozesse derzeit nicht zur Verfügung.
Im Zusammenhang mit den verschiedenen Digitalisierungsmaßnahmen wurden notwendige Anpassungen der Geschäftsprozesse vorgenommen. Dies hat bisher (noch) nicht zu nennenswerten organisatorischen Änderungen geführt.
Mein Fazit: Man versucht sich lieber in Erklärungen was aus welchem Grund nicht geht, kann, darf. Das zeigt, wir sind noch meilenweit von einer Digitalsierung entfernt, wie sich die Bürger*innen das wünschen würden und vor allem neue Generationen ganz selbstverständlich davon ausgehen würden…
Vielleicht sollten wir die mal ranlassen nach dem Motto: “
Alle sagten: „Das geht nicht!“ Dann kam einer, der wusste das nicht und hat es einfach gemacht.