Aktuell gibt es einige Sanierungsprojekte im Bereich der Kultur in Deutschland, die für Gesprächsstoff sorgten.
Die Elbphilharmonie wurde für 866 Millionen Euro gebaut. In Karlsruhe saniert und erweitert man für 508 Millionen das Badische Staatstheater, das Nationaltheater Mannheim benötigt voraussichtlich 287 Millionen, Oper und Schauspiel in Frankfurt plant mit 880 Millionen, Kölns Bühnen mit 673,5 Mio, die komische Oper Berlin 440 Millionen die Oper in Stuttgart plant gar mit 1 Milliarde. sic!
Die Kosten teilen sich in der Regel (Bund,) Land und Kommunen.
Gleichzeitig muss nicht erst seit Corona in den vielen klammen städtischen Haushalten gespart werden. Meist beansprucht zusätzlich zu hohen einmaligen Investitionen das ortsansässige städtische Theater, die Stadtbibliothek, die Volkshochschule und das Museum der jeweiligen Stadt über 90% des entsprechenden Kulturhaushaltes. Jedoch werden diese Kulturinstitutionen leider meist nur von einem eher älteren, konservativ-etablierten und liberal-intellektuellen Milieu frequentiert.
Auf Basis einer repräsentativen empirischen Untersuchung zur sozialen Selektion des Bühnenpublikums aus dem Jahr 2016 von Tibor Kliment (Professor für Empirisches Medien- und Kulturmanagement an der Rheinischen Fachhochschule Köln) wird dies am Beispiel einer Umfrage an einem städtischen Theater klar ersichtlich.
Demnach verfügten 89% der Besucher*innen über ein Studium oder zumindest über Abitur, knapp über 60% sind Beamt*innen, leitende Angestellte oder Selbstständige und mit 66% stellen die über 50-Jährigen die mit Abstand größte Alterskohorte. Lediglich 17% der Besucher sind unter 34 Jahren alt. Seine Prognose für 2025 fallen dabei noch düsterer aus. Lag das Durchschnittsalter 2016 noch bei 58 Jahren, so geht er künftig von 65 Jahren aus.
Außer Frage steht selbstverständlich, dass in städtischen Theatern und Opernhäusern wichtige und wertvolle Kulturarbeit geleistet wird. Es zeigt sich jedoch an vorangegangenem Beispiel sehr anschaulich, dass keine Ausgewogenheit innerhalb der deutschen Kulturpolitik herrscht. Die aktuelle Förderpolitik bewahrt Kultur für eine gut ausgebildete, gut situierte und ältere Bevölkerungsschicht. Die 800 Theater in Deutschland werden von Bund, Land und kommunen mit 2,7 Milliarden Euro bezuschusst. Das sind mindestens 78 € pro Karte.
Zum Vergleich: Ein Neckarufertunnel in Heidelberg wäre auf 170 Millionen veranschlagt, eine Kita mit 100 Plätzen kostet ca. 3 Millionen Euro, die halle02 in Heidelberg wurde für ca. 4,5 Mio Euro saniert, die Wagenhallen in Stuttgart für 32,5 Millionen.
Den laufenden Betrieb der hochkulturellen Einrichtungen für ein älteres Publikum in Baden-Württemberg lässt sich das Land 369.092.500 Millionen Euro für ca. 2.110.678 Besucher*innen, im Schnitt also 175€ pro Ticket, kosten. (105 Spielstätten und 34.940 baukonzeptionelle Plätze)
Zum Vergleich: Ein kostenloser Nahverkehr in Heidelberg würde 25 Millionen Euro kosten, in allen großen Städten ca. 261 Mio.
Für Clubkultur sind meist Beträge im 3-stelligen Bereich vorgesehen – wenn überhaupt. Von 11,1 Millionen Einwohner*innen in Baden-Württemberg (Stand 2019) sind 6,3 Millionen Menschen unter 50 Jahre alt. (57,2 %) Immerhin 1,96 Mio sind zwischen 15 und 30 Jahren alt – das sind 17,64 %
Wenn also in den nächsten Jahren 1.795.000.000 Euro in Hochkultur investiert wird, sollten doch mindestens 316 Millionen, besser 500 Millionen in die Infrastruktur für junge Menschen gehen.
Hiervon könnten beispielsweise Spielstätten und Clubs gekauft und somit gesichert und auch energetisch saniert werden. Außerdem könnten weitere Räume für Jugendkultur in den Städten neu entstehen.
Laut aktueller Bundes-Clubstudie der Initiative Musik gibt es in Baden-Württemberg 215 Musikspielstätten, im bundesweiten Durchschnitt bietet eine Musikspielstätte Platz für 375 Personen. Gingen wir somit von 80.625 “baukonzeptionellen Plätzen” aus, wären diese immer noch unterrepräsentiert. Somit könnten im Schnitt 2.3 Mio Euro pro Spielstätte aufgewendet werden und somit wäre ein Großteil der Kulturorte gesichert. Natürlich könnten auch neue Projekte oder Orte geschaffen werden.
Was passiert, wenn man diese Investitionen nicht getätigt, haben wir im letzten Sommer zur Genüge beobachten können.
Die Erlösstruktur aller Musikspielstätten im Bundesschnitt ist übrigens nur mit 9,8 % mit öffentlichen Zuschüssen unterstützt und erwirtschaftet somit über 90% der Einnahmen aus eigener Kraft. (bei den o.g. einrichtungen ist die Erlöstruktur ca. das Gegenteil, also 10% der Kosten werden durch Eintrittskarten finanziert) Die Folgekosten werden hier durch eine Investition sogar noch geringer werden (im Vergleich zu sanierten „Hochkultur“häusern).
Unterstützung und Basis für Immobilienkäufe könnte die neu gegründete “Bundesstiftung Livekultur” werden.
Links:
- Der letzte Vorhang
- Theatersterben
- Kulturförderung neu denken
- Altersstruktur
- „Die maßlose Kunst“ – Süddeutsche
Quellen Sanierung:
Apropos:
5 krasse Zahlen zum Thema “Kulturgerechtigkeit”
Alter und Berufsgruppen Theaterbesucher in Prozent
Besuchergruppe 18 – 34 J. 17 %
Besuchergruppe 50+ 66 %
Schüler*innen/Student*innen/Azubis 10 %
Rentner/Pens./Ltd. Angestellt./Beamte/Selbstst. 60 %
Quelle: Empirisches Medien- und Kulturmanagement Rheinische FH Köln 2016
Soziokulturelle Zentren vs. Theater Baden-Württemberg
Anzahl Soziokultureller Zentren 72
Anzahl Staats-, Landes-, Kommunal-Theater 15
Förderung Soziokultureller Zentren 4.058.000 €
Förderung Staats-, Landes-, Kommunal-Theater 217.292.000 €
Quelle: Landeshaushalt BaWü 2018
Beliebteste Freizeitbeschäftigungen in Deutschland in Prozent
Golf spielen gehen 0,5 %
Ins Theater & in die Oper gehen 0,6 %
Schwimmen gehen 14,5 %
Clubs/Konzerte/Festivals besuchen 14,0 %
Quelle: Verbrauchs- und Medienanalyse – VuMA 2020
Gehälter pro Jahr in EUR
Hamburger Stadtverwaltung, Erster Bürgermeister Tschentscher 199.600 €
Hamburgische Staatsoper, Intendant Georges Delnon 245.000 €
Bundesrepublik Deutschland, Bundeskanzlerin Merkel 351.600€